Wer hätte das gedacht: Vor 30 Jahren spielte noch kein einziger Schweizer in Nordamerika und die NHL hatte auf Gänge und Läufe in unserer Liga keinen Einfluss. Und nun ist die NHL ein wichtiger Faktor im heimischen Transfergeschäft geworden.
Die NHL mit ihren Traumsalären (bereits mehr als 500 Dollar-Millionäre) ist heute ein realistisches Ziel für einen talentierten Schweizer. Wenn es im ersten Anlauf nicht reicht, dann lohnt sich ein zweiter Versuch auf jeden Fall. Aber eine zweite Chance gibt es nur, wenn einer bei uns eine herausragende Rolle in einem Team bekommt. Das ist das Pech der ZSC Lions und das Glück von Titelverteidiger Servette.
Tim Berni (23) ist von den ZSC Lions ausgebildet worden. In einem ersten Versuch hat er die NHL in zwei Jahren noch nicht erobert (59 Spiele/3 Punkte) und viel Zeit im Farmteam verbracht (89 Spiele/19 Punkte). Deshalb kehrt er jetzt heim. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger wollte ihn unbedingt. Aber er hat in Genf einen Vierjahresvertrag unterschrieben. Aufgrund des Transferabkommens der NL mit der NHL hat Tim Berni die Option, jedes Jahr bis zum 15. Juli in die NHL zu wechseln.
Geld spielt beim Entscheid für Servette und gegen die ZSC Lions keine Rolle. Viel wichtiger ist die Möglichkeit, durch herausragende Leistungen noch einmal eine Chance in der NHL zu bekommen. Das ist aber nur mit viel Eiszeit möglich. Einst ging es bei einem Spieler in Bernis Alter darum, das Talent in unserer höchsten Liga zu kapitalisieren. Nun ist es wichtiger, dieses Talent weiterzuentwickeln, um in die NHL zu kommen. In der wichtigsten Liga der Welt ist es möglich, in einem Monat mehr zu verdienen als bei uns während einer ganzen Saison.
Servettes Sportchef Marc Gautschi sagt: «Wir können Tim Berni eine zentrale Rolle in unserer Abwehr und für seine sportliche Weiterentwicklung bieten.» Genau das, wozu Sven Leuenberger nicht in der Lage ist. Neben Captain Patrick Geering, Dean Kukan, Christian Marti, Mikko Lehtonen, Dario Trutmann und dem «alten Löwen» Yannick Weber wäre Tim Berni mit grosser Wahrscheinlichkeit nur ein Platz am spielerischen Katzentisch mit wenig Eiszeit und ohne Powerplay-Präsenz geblieben.
In Genf ist die Konkurrenz geringer. Er kann davon ausgehen, dass er neben Theodor Lennström, Sami Vatanen und Roger Karrer einen Platz in den ersten zwei Formationen erhalten und Servette nächste Saison nicht mehr zwei ausländische Verteidiger beschäftigen wird. Für den Meister kann Tim Berni nach dem Verlust von Verteidigungsminister Henrik Tömmernes (nach 6 Jahren zurück zu Frölunda) ab sofort einen wichtigen Beitrag zur dringend erforderlichen Stabilisierung der Abwehr leisten. Diese Saison hat nur Lugano mehr Gegentreffer kassiert.
Sportchef Gautschi hat monatelang an diesem Transfer gearbeitet und nach dem Scheitern einer Übernahme von SCB-Verteidiger Mika Henauer (er wechselte leihweise nach Kloten) die Bemühungen erst recht intensiviert. Mit Roger Karrer und Marco Miranda haben bereits zwei ZSC-Talente ihr Glück in Genf gefunden. «Wir sind seit dem Sommer mit Tim Berni in Kontakt und auch Roger und Marco haben mit ihm gesprochen. Das hat sicherlich geholfen», sagt Gautschi. «Wenn wir dafür sorgen, dass Spieler bei uns optimale Voraussetzungen haben, dann werden Transfers etwas einfacher. Die Spieler tauschen sich ja untereinander aus …»
ZSC-Sportchef Sven Leuenberger ist zwar enttäuscht, dass er Berni nicht bekommen hat. «Er ist jung, entwicklungsfähig und hat das Profil, das wir gesucht haben.» Leuenberger zeigt aber Verständnis für die Situation: «Er hat uns gesagt, dass er bei Servette bessere Chancen auf eine wichtige Position hat und dass es für ihn besser sei, in Genf eine neue Herausforderung zu suchen. Zürich kenne er ja bereits und in Genf komme er weniger in eine Komfortzone als bei uns.»
An den finanziellen Bedingungen ist der Transfer wohl nicht gescheitert. Sven Leuenberger sagt: «Er hätte bei uns auch einen Fünfjahresvertrag bekommen.» Die Währung in diesem Transfergeschäft war also Eiszeit, nicht Geld. Oder zumindest die berechtigte Aussicht auf mehr Eiszeit.
Leuenberger sitzt in solchen Fällen transfertechnisch in einem «goldenen Käfig»: Er kann jeden beliebigen Spieler «vergolden» – aber was nützt einem jungen Spieler alles Geld im «goldenen Käfig ZSC», wenn er nicht genügend Eiszeit und Entfaltungsmöglichkeiten bekommt? Es ist die Quadratur des Kreises: Einerseits die ultimative Forderung der Klubbesitzer nach meisterlichem Ruhm und andererseits der Versuch, ein Team laufend zu erneuern: Tim Berni hätte der neue Patrick Geering (33) werden können.
Das Geld, das im laufenden Budget für eine Verpflichtung von Tim Berni reserviert war, wird der ZSC-Sportchef nun in die Verpflichtung eines 7. Ausländers investieren. Voraussichtlich in einen Verteidiger. Ein etwas einfacheres Geschäft, bei dem es mehr um Geld als um Eiszeit gehen wird. Geld können die ZSC Lions, falls erforderlich, immer genug bieten. Eiszeit aber nicht. Wenn je Geld einen Sportchef nicht glücklich gemacht hat, dann Sven Leuenberger.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Das ist für mich eine WIN-WIN-WIN Lösung. Berni bekommt Eiszeit, Genf einen soliden Verteidiger und der ZSC muss sich nicht vorwerfen lassen es nicht probiert zu haben. Alle sind zufrieden, sogar Fischi hat einen Verteider mehr zur Auswahl.